Essay - Reportage - Dichtung
im www.LeineBlick.de


Inhalt:
Weihnacten 2002 - ein Märchen
Die Lampe




Ein Märchen:
Weihnachten 2002
- von Christian Wahnschaffe -
Der Präsident war heute Abend äußerst zufrieden zu Bett gegangen. Es hatte keine Überra-schungen gegeben an diesem 24. Dezember. Die Aufzeichnung seiner Fernsehrede an die Nation hatte schon im ersten Anlauf geklappt. Er hatte die üblichen Dinge gesagt, seinem Volk ein frohes Fest gewünscht und die Sorgen, die sich der ein oder andere um die Zukunft machen könnte, klein geredet. Er hatte auch nicht vergessen, sich an die eigenen Truppen ü-berall in der Welt zu wenden. Auch ihnen friedvolle Weihnacht! Dabei war nicht nur ihm klar, dass es mit dem Frieden wohl bald vorbei sein werde. Schließlich sei das Land von un-bekannten Mächten bedroht und seien noch viele Bösewichter in anderen Ländern der Welt an der Macht, mit denen im kommenden Jahr aufgeräumt werden müsse.

Nun lag er in dem angenehmen Schlummer dessen, der sein Gewissen für rein hält und von sich glaubt, er habe alles getan, was in seiner Macht steht.

Da trat der Engel des Herrn zu ihm und berührte ihn sanft an der Schulter. Der Präsident brauchte nur wenige Sekunden, um zu erkennen, mit wem er zu tun hatte. Wer sonst wäre wohl so ohne weiteres an den Sicherheitskräften vorbeigekommen, die ständig über das Wohl des Präsidenten und natürlich auch über seinen Schlaf wachten.

"Willst Du mir den Segen Gottes für die Verwirklichung meiner Pläne bringen, mit deren Hilfe das Böse in der Welt getilgt und Ruhe und Ordnung wieder hergestellt werden soll?", fragte er und ließ sich demütig aber kokett lächelnd auf ein Knie nieder.

"Du willst einen Krieg führen, den Du für gerecht hältst. Denkst Du auch an die Opfer, die er fordern wird, insbesondere unter der Zivilbevölkerung?"

"Deren Zahl wird man wohl vernachlässigen können, die Operation ist bis ins Kleinste so geplant, dass wir nur die treffen, die wirklich gemeint sind und dass sich die Kolalateralschä-den in engen Grenzen halten werden. Du verstehst, einige wenige Opfer werden gebracht werden müssen, um dem Guten zu seinem Recht zu verhelfen!"

"Und wer verleiht Dir das Recht, Dich an Stelle des Herrn zum obersten Richter der Welt zu machen? Wer gab Dir den Auftrag?"

"Mein Volk, und wie Du gewiss weißt, ist es Gottes Volk, das mich in demokratischer Wahl zu seinem Präsidenten berufen und beauftragt hat, für seinen und der Welt Frieden zu sorgen. Insofern kann Gott, der Herr, nichts anderes im Sinn haben, als das, was ich jetzt verwirkli-chen werde!"

"Und sind es nicht eher materielle Interessen, die Du zum Wohle Deines Volkes meinst ver-treten zu müssen. Geht es nicht in erster Linie um die Sicherung von Energiequellen?"

"OK. Gottes Volk kann den Herrn nur dann würdig preisen, wenn dessen Häuser gut geheizt sind und wenn die Autos, mit denen die Menschen in die Kirchen fahren, genügend Sprit ha-ben. Das wird Gott doch wohl auch so sehen?!"

"Es könnte sein, dass Du Dich täuschst. Schon seit Jahrtausenden berufen sich die angreifen-den Fürsten dieser Welt darauf, im wohlverstandenen Sinne Gottes zu handeln, selbst dann, wenn sich die Fürsten der Angegriffenen auf den selben Gott berufen."

"Der Gott der Christen..."

"Es gibt keinen Gott, der allein den Christen gehört. Dennoch schickt er diesen heute Nacht, wie seit zweitausend Jahren, seinen Sohn, damit er sie zur Umkehr mahnt". 

"Es reicht! Ich muss mich in Dir getäuscht haben. Vielleicht bist Du nur der als Engel ver-kleidete Satan. Lass mich jetzt schlafen. Du weißt, ich werde in den nächsten Wochen und Monaten meine ganze Kraft brauchen..."

Der Engel war verschwunden. Missmutig drehte sich der Präsident auf die andere Seite und schlief wieder ein.

Am anderen Morgen trat ein etwas missmutig dreinblickender Präsident in den festlich ge-schmückten Frühstückssaal. Mehrmals, so wollen gewöhnlich gut unterrichtete Kreise beo-bachtet haben, soll er sich nachdenklich am Kopf gekratzt haben. Aber nach einem guten Frühstück blickte er schon wieder sicher und gefestigt in die Welt.

Er hatte seinen Traum vergessen.

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Eine junge Autorin erzählt:
Die Lampe
- von Meike Przyklink -
Meiner Oma ist was ganz geheimnisvolles passiert. Sie hieß Frieda. Sie kaufte sich in einem Antiquitätenladen eine Lampe. Sie war erstaunlich preiswert, aber wunderschön. Das freute sie, da sie nicht die Reichste war. Sie stellte die Lampe gleich in ihr Wohnzimmer. Abends wollte Frieda noch lesen. Die Lampe funktionierte richtig gut. Es wurde spät und sie ging ins Bett. Die Lampe hatte sie ausgemacht. In der Nacht musste sie auf die Toilette. Sie ging am Wohnzimmer vorbei. Die Lampe war an! "Ich hatte sie doch ausgemacht. Oder nicht? Ich habe es wohl vergessen", dachte Frieda und machte sie aus.

Am nächsten Morgen, als Frieda gefrühstückt hatte, ging sie ins Wohnzimmer. "Oh Gott!", schrie Frieda. "Die Lampe! Sie ist.. sie ist an! Diesmal bin ich sicher! Ich hab die Lampe ausgemacht! Oder werde ich alt und verrückt?" Sie zog den Stecker raus. "So!" dachte sie erleichtert. Den ganzen Tag war die Lampe aus. Sie überlegte, ob sie die Lampe nicht doch zurück bringen sollte. "Der hält mich doch für verrückt! Außerdem habe ich mir das bestimmt nur eingebildet", dachte sie.

In der Nacht wurde Frieda von einem Kratzen geweckt. "Was ist das?", fragte sie sich. "Ist hier wer?", fragte sie ängstlich. Keine Antwort. Langsam stieg sie aus dem Bett. Vorsichtig schlich sie in die Küche. "Ist hier wer?", fragte sie nochmals. Wieder keine Antwort. Sie macht das Licht an. Niemand da. Schnell holte sie sich eine Pfanne. "Jetzt bin ich gerüstet.", dachte sie ein wenig mutiger. Im Badezimmer war auch niemand. Sie ging zum Wohnzimmer. Je näher sie kam, desto lauter wurde das Kratzen. "Oh Gott, was ist das?" dachte sie angsterfüllt. Da sah sie es: Es war unglaublich, die Lampe leuchtete heller als je zuvor! Außerdem vibrierte sie richtig. Frieda war sprachlos. Auf einmal gab es einen Knall! Die Lampe war explodiert! Es kam eine Nebelschwade heraus. Ganz grün war sie. Giftgrün. Sie formte sich zu einem Gesicht. Plötzlich schrie das Gesicht. Ja, das Gesicht! Frieda schrie auch. Das Gesicht flog auf sie zu, durch sie hindurch und verschwand dann im Schlüsselloch. Frieda fiel tot um. 

Warum sie starb wurde nie geklärt.
 

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