Inhalt:
Überblick über die Arbeit von
OFARIN im Januar 2003
Überblick über die Arbeit von
LEPCO im Januar 2003
Alltag in Kabul 2002:
Der Consultant
Die Staatssekretärin
Auf dem Lande:
Beim Malik
Situationsbericht aus Kabul Anfang 2003:
Politische Stabilität und Wirtschaft
in Afghanistans bedingen einander
Überblick über die Arbeit von OFARIN im Januar 2003:
Die Arbeit in den Moscheeschulen steht im Mittelpunkt
- Ministerium für Islamische Angelegenheiten
liberaler als Erziehungsminiterium -
- von Peter
Schwittek -
Darüber hinaus kommen Kinder, die merken, daß der Unterricht in den staatlichen Schulen unzureichend ist. Wegen unregelmäßiger und mangelnder Bezahlung der Lehrer fällt dort der Unterricht oft aus. Dagegen achtet OFARIN streng auf die Anwesenheit seiner Lehrer. Hinsichtlich der Unterrichtsmethodik bestehen auch bei uns durchaus noch Verbesserungs- Möglichkeiten. Unsere Lehrer sind meist ausgebildete Schulmeister, die ab 8:00 Uhr in staatlichen Schulen arbeiten. Wir zahlen jeder Lehrkraft pro Monat 1000 Rs., was knapp 16 € entspricht. Bis September hatten wir außerdem zwei Stunden Nachmittagsunterricht angeboten. Das wurde jetzt, da viel mehr Kinder – und vor allem die Mädchen – wieder in staatliche Schulen gingen, problematisch. Es kamen nachmittags in die gleichen Klassen andere Kinder als frühmorgens. Kinder die Betteln müssen, haben nachmittags keine Zeit. Die Lehrer standen vor unlösbaren Problemen. Die finanzielle Ausstattung des Programmes reicht für das Nötigste. Es wäre sehr wünschenswert gewesen, im Winter ein gesondertes Programm in den gleichen Moscheen anzubieten. Die Winterzeit läßt den Kindern nur wenige Möglichkeiten, außerhalb des Hauses zu spielen. Viele Eltern hätten ihre Kinder gerne in einen ergänzenden Unterricht geschickt. So aber ruht jetzt der Unterrichtsbetrieb und wird im April wieder aufgenommen werden. Die Moschee-Schulen in Logar Früher hatte Saghumkhel überhaupt keine Schule. Einige Jungen
liefen in die größeren Orte Baraki-e- Radschan und Baraki-e-
Barak, wo es sogar Gymnasien gibt. Mädchenschulen waren verpönt.
Jetzt ist das ganze Dorf froh, daß Jungen und Mädchen in die
Schule gehen.
Die Waisenschule in Chak-e-Wardak Auch die Waisenschule hat zur Zeit Winterferien. Neun der Lehrer sind nach Kabul gekommen, wo wir sie auf die Arbeit in der Oberstufe vorbereiten. Sie erhalten Unterricht in Paschtu, Persisch, Englisch, Mathematik, Physik und Chemie – größtenteils von Universitätsdozenten. Die meisten Lehrer haben eine Qualifikation für den Unterricht in der Oberstufe. Es fehlt ihnen aber die Unterrichtspraxis in den höheren Klassen. Kleine Mädchenschulen in Chak-e-Wardak Das „Programm für junge Mädchen“ Im Oktober und November 2002 stellte das Fotoforum Frankfurt im Frankfurter Architekturmuseum Fotografien aus, die der renommierte englische Künstler Simon Norfolk im Winter 2001/2002 in Afghanistan aufgenommen hatte. Am Ende der Ausstellung wurden die Bilder meistbietend verkauft. Der Gewinn von 12 000 € ging an OFARIN. Das war die Grundlage für ein Programm für Mädchen mit unterbrochener Schulkarriere. Wir gehen davon aus, daß der Betrieb einer Schulklasse (12 Monate, ohne Winterpause) mit 25 Schülerinnen 1250 € pro Jahr kostet. Weitere namhafte Beträge eines Gymnasiums in Kaufbeuren und eines Gymnasiums in Kirchheim bei München kamen hinzu. Wir haben ein Programm für Mädchen der Jahrgangsstufen eins bis drei begonnen. Wegen der größeren Fächervielfalt haben wir uns keine höheren Jahrgangsstufen zugemutet. Der Unterricht findet in Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Islamische Angelegenheiten in Moscheen statt. Er wird so angelegt, daß die Mädchen sich Teile des Unterrichtsinhalte selber erarbeiten müssen. Das soll sie dazu befähigen, sich auch dann noch weiter zu bilden, wenn ihnen unser Programm einmal nicht mehr zur Verfügung steht. Sie erhalten täglich je eine Stunde Unterricht in den Fächern Persisch, Mathematik und Religion. Zwei weitere Stunden bleiben sie zum Selbststudium unter Aufsicht ihrer Lehrerinnen in der Moschee. OFARIN wird in den nächsten Wochen einen Bericht über die Schulen für junge Mädchen herausgeben. Generelles zum Erziehungsprogramm von OFARIN
Wenn wir ein Schulhaus für eine Mädchenschule in Wardak bauen wollen, können wir einen ortsüblichen Lehmbau hinstellen, sofern wir mit dem Ministerium für Islamische Angelegenheiten zusammenarbeiten. Untersteht die Schule aber dem Erziehungs- Ministerium, müssen wir uns einen Steinbau vom Schulbauamt des Erziehungs- Ministeriums planen lassen und müssen während der Bauphase Ministerial- Bürokraten für ihre angebliche Mitarbeit entlohnen. So reich sind wir nicht. Ähnlich drastisch sind die Vorschriften in allen Bereichen, etwa hinsichtlich der Lehrerfortbildung oder der Bezahlung von Lehrern. Die meisten Entwicklungsländer sind unterentwickelt, weil ihre staatlichen Bürokratien mit einem quasi- kommunistischen Totalitätsanspruch jede Eigeninitiative verhindern und jeden Fortschritt erdrosseln. Es ist schlicht unmoralisch mit dem jetzigen afghanischen Erziehungsministerium zusammen zu arbeiten. OFARIN erschließt im Erziehungswesen Afghanistans kein absolutes Neuland. So gibt es auch Programme anderer Organisationen für Mädchen, die lange nicht in die Schule gehen konnten. Der Bedarf an solchen Aktivitäten ist groß. OFARIN nimmt aber auf die Unterrichts- Methoden, die in seinen Programmen angewandt werden, Einfluß. Wir bemühen uns intensiv darum, die Lehrer dazu zu bringen, auf das Verständnis aller ihrer Schüler zu achten. Darüber hinaus versuchen wir die Lehrer daran zu gewöhnen, den Kindern die Freiheit zum selbständigen Denken zu geben. Auch der Ansatz, Mädchen, die mit fünfzehn oder sechzehn Jahren die zweite oder dritte Jahrgangsklasse besuchen, an die Eigenarbeit heranzführen, ist ein Spezifikum von OFARIN. Andere Organisationen beauftragen afghanische Agenturen mit der Durchführung des Unterrichts. Dabei werden dann die verheerend schlechten Lehrmethoden, die in Afghanistan üblich sind, angewandt. Von solch’ freudlosem Unterricht profitiert bestenfalls ein kleiner Bruchteil der Schüler. Nothilfeaktivitäten, Brunnen für Trinkwasser Kabul, 19.1.2003 Peter
Schwittek
Mehr über OFARIN finden Sie hier. |
Dabei geht es zunächst darum, die Buchführung auf den aktuellen Stand zu bringen und einen Finanzbericht für 2002 zu erstellen. Dr. König hatte bei der Übergabe der Ge-schäfte keine Buchführung vorgelegt. Es sieht so aus, als sei die finanzielle Lage von LEPCO angespannt. Allerdings gibt es um diese Jahreszeit in der Regel einen Spezialef-fekt: Die Kliniken im Hazarajat schneien im Winter ein und können erst wieder im April oder Mai erreicht werden. Sie müssen daher im Spätherbst nicht nur mit ausreichenden Mengen von Medikamenten, sondern auch mit langfristigen Vorschüssen versorgt wer-den, was jeden gestandenen Buchhalter erschauern läßt. Schließlich muß der Jahre-sabschluß dem externen Prüfer vorgelegt werden. Außerdem sind einige Personalentscheidungen nötig, die aber im Rahmen des Üblichen liegen. Über Fragen der Ausstattung der Kliniken und über Baumaßnahmen wird Dr. Dietrich entscheiden. Im Winter läßt sich in dieser Hinsicht kaum etwas tun. Dr. König hatte ein Mutter- und Kind- Gesundheitsprogramm begonnen, indem er einige Mitarbeiter in ein vorbereitendes Training nach Indien schickte. Da es sich bei diesen Kursteilnehmern ausnahmslos um Mitarbeiter handelte, die zur Aufrechterhaltung des sonstigen Betriebes dringend erforderlich sind, ist ein Einstieg in dieses Programm im Augenblick lediglich in Waras möglich. Die weitere Entwicklung dieses Programmes wird Dr. Dietrich in die Hand nehmen. Umzug des Hauptbüros Operationsprogramm für das Hasaradschat in Zusammenarbeit mit der Franz-Beckenbauer-Stiftung GESA konnte den in Kabul tätigen Orthopäden Dr. Willy Kemmer dafür gewinnen, die Verantwortung für ein an LEPCO angelehntes Operationsprogramm zu gewinnen. Dabei wird es in erster Linie um die Beseitigung von Sekundärfolgen der Lepra gehen. Aber es ist auch an andere – vorwiegend orthopädische – Operationen gedacht. Dr. Kemmer kann in Kabul afghanische Spezialisten für kurzfristige Einsätze anheuern. Der ebenfalls sehr Afghanistan- erfahrene Dr. Joch könnte mit einem Interplast- Team spezielle Operationen durchführen. Weitere deutsche Chirurgen haben ihre Mitarbeit angeboten. Der Beitrag von LEPCO bräuchte dann nur darin zu bestehen, Patienten auszusuchen, die entspre-chende Operationen nötig haben. Es sollen auch andere Organisationen, die im Hasarad-schat medizinisch arbeiten, gebeten werden, Patienten vorzuschlagen. Für die Patienten-transporte wäre dann schon Dr. Kemmer zuständig. Im November 2002 sind Dr. Kemmer und ich ins Hasaradschat gereist, um einen geeig-neten Ort für die Durchführung der Operationen zu suchen. Wir haben uns für das Kran-kenhaus in Yakaolang entschieden. Dieses untersteht der afghanischen Organisation Shu-hada (geleitet von der ehemaligen Ministerin für Frauenfragen Dr. Sima Sawar). Es ar-beitet dort ein Team von MSF-Spanien. Das Krankenhaus ist für afghanische Verhältnis-se sehr gut ausgestattet. Es verfügt über einen ordentlichen OP. Dort führt ein junger af-ghanischer Chirurg einfachere Operationen durch. Er ist sehr kooperativ und freut sich darauf, viel hinzu zu lernen. Auch Shuhada und MSF-Spanien waren angetan von der Aussicht auf diese Zusammenarbeit. Vermutlich müssen zur Unterbringung der Patienten und ihrer Begleiter noch Häuser gebaut oder saniert werden. Hierzu bietet sich das Kran-kenhausgelände, aber auch die LEPCO- Klinik in Yakaolang an. Yakaolang wird von Paktec regelmäßig, aber auch im Charter-Verkehr, angeflogen, so daß ausländische Spe-zialisten, die keine Zeit für die spektakuläre Anreise über Land haben, schnell von Pa-kistan oder Kabul aus einfliegen können. Das Programm wird wegen des langen Winters im Hasaradschat und der noch notwendigen Baumaßnahmen erst im Frühsommer begin-nen können. Das kommt der Franz- Beckenbauer- Stiftung entgegen, die sich 2002 auch noch in den deutschen Hochwassergebieten engagierte hat und eine Atempause braucht. Ursprünglich sollte das Operationsprogramm schon 2002 anlaufen. Einstieg in die Physiotherapie? Peter Schwittek
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Alltag Afghanistan 2002:
'Der Consultant' - eine Kurzgeschichte
- von Peter
Schwittek -
Damit beim Wiederaufbau Afghanistans nichts schief geht, hat Deutschland
einige "Consultants" hergeschickt. Die sitzen in bestimmten Ministerien
und beraten diese bei der Durchführung ihrer Aufgaben. Einen davon
besuchte ich gemeinsam mit dem Kollegen Wagner. Der Consultant berichtete
aus seinem Arbeitsalltag: "Neulich kommt einer von der Kabuler Stadtverwaltung
zu mir und fragt, wie man die Sanierung der Stadt am besten angehen soll.
,Das ist doch ganz einfach.' habe ich dem gesagt. ,Da nehmen Sie sich zunächst
einmal einen Stadtteil vor. Das darf nicht gleich der größte
sein. Aber der kleinste sollte es auch nicht sein. Und dort fangen Sie
an. Zuallererst müssen Sie die offenen Kanäle an den Straßenrändern
zuschütten. Da steht doch eine entsetzliche Brühe drin. Das ist
eine Brutstätte für etliche Krankheiten.'"
Wagner versuchte einzuwenden, daß diese Kanäle dazu da seien,
das Regenwasser aufzunehmen, und vor allem im Winter das Schmelzwasser.
Damit war der Consultant nicht zu bremsen: "Ach was? In den letzten sechs
Jahren waren die Winter hier knochentrocken. Jedenfalls müssen die
Dinger zugeschüttet werden. Und dann muß in diesem Stadtteil
jedes Haus einen Anschluß an das Abwassersystem erhalten und einen
an die Trinkwasserversorgung, einen an die Elektrizitätsversorgung
und einen ans Telefonnetz. Ja, und wenn dann der eine Stadtteil fertig
ist, kommt der nächste dran. So saniert man eine Stadt...
"Darf ich fragen, worum es geht?" "Sehen Sie dort in dem Regal die sechs Leitz-Ordner? Das sind die einzigen Ordner, die es im ganzen Ministerium gibt. Wenn Sie noch etwas Geld für mich übrig hätten, könnte ich für das Ministerium etwas Büromaterial kaufen." |
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Wir hatten den Vertrag ausgehandelt. Ein Text war gefunden worden,
dem beide Seiten zustimmen konnten. Doch nun fragte der Minister: "Hätten
Sie etwas dagegen, daß meine Stellvertreterin den Vertrag unterzeichnet?"
Warum das? Wieso wollte er nicht selber unterschreiben? Er nickte mir zu.
Ich konnte nicht ablehnen. So besuchten wir einige Tage später die
Staatssekretärin. Zwei afghanische Kollegen begleiteten mich, die
als Dolmetscher einspringen konnten, wenn es knifflich würde.
Doch die Staatssekretärin begrüßte uns auf Deutsch: "Ich habe 22 Jahre in Deutschland gelebt. Damals, als hier die Kommunisten an die Macht kamen, sind wir geflohen. Mein Mann hat in Deutschland umgelernt und wurde Berufsschullehrer. In einem Jahr wird er pensioniert. Vielleicht kommt er danach auch her. Aber wissen Sie - ich glaube nicht, daß ich das hier noch lange aushalte. Nein, der Ramasan jetzt - das ist nicht so schlimm. Daran müssen wir Moslems uns halten. Damit komme ich zurecht. Aber die Arbeit stößt auf viele Widerstände. Ich stamme aus Kandahar. Ganz früher habe ich dort ein Fraueninstitut geleitet. Deshalb hat man mich im Frühjahr als Auslandsafghanin zur Loya Dschirga [der großen Versammlung, die die Spitzen der jetzigen Regierung bestimmte] eingeladen. Der Staatspräsident Karzai ist ja auch aus Kandahar. Er kannte mich noch. Ich habe ihm eine Medaille von der deutschen Wiedervereinigung überreicht, und er bat mich, in Afghanistan eine Aufgabe zu übernehmen. So wurde ich Staatssekretärin. Wenn meine Familie in Deutschland nicht abgesichert wäre, könnten wir uns das hier nicht leisten. Die unterstützen mich. Ich verdiene im Monat umgerechnet 41 $. Das reicht nicht für die Wohnungsmiete. Und ich kann ja als Frau nicht einfach alleine in Kabul leben. So ist ein Schwager mit seiner Frau aus Farah hergezogen. Die wohnen bei mir. Sonst kenne ich hier niemanden. In Kandahar gibt es wahrscheinlich noch ein paar Verwandte und Freunde, obwohl die meisten auch irgendwann irgendwohin geflohen sind. Aber Kabul ist eine ganz fremde Stadt für mich. Ich fühle mich hier unsicher. In Deutschland habe ich überall Freunde und Bekannte, aber hier ... Ich weiß nicht, wie lange ich das noch durchhalte." In meiner Verlegenheit erzählte ich ihr, daß ich im Dezember nach Hause fliegen würde. Das hätte ich Ihr ersparen sollen. So mußte sie darauf eingehen: "Nach Hause - ich hoffe, daß wir das im Januar schaffen. Das kostet ja über 700 €. Die bringt meine Familie frühestens im Januar auf. Und dabei wäre ich so gerne Weihnachten zu Hause. Diese Stimmung und die Geschenke ... und das eine Lied hat mir immer ganz besonders gefallen." |
Auf dem Lande:
Beim Malik
- von Peter
Schwittek -
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Ein Malik ist ein Dorfältester. Wir hatten in diesem Dorf ein
Kreditprogramm durchgeführt. Jetzt ging es um die Rückzahlung.
Einige der Bauern sträubten sich. Sie hatten die Mittel nicht erfolgreich
eingesetzt. Der Malik hatte die Verträge gegengezeichnet. Jetzt mußte
er schlichten. Wir konnten sein Haus nicht gleich finden. Auf der Straße
fragten wir einen alten Mann in weißem Gewand und Turban, wo das
Haus des Malik sei. "Dann sind wir gemeinsam Gäste des Malik." sagte
der Mann. "Ihr steht vor seinem Haus."
Wir stiegen gemeinsam in den Gästeraum im ersten Stock. Mindestens 25 m ist dieser Saal lang. Hier können bestimmt 200 Personen Platz finden. Auf den Kissen, die an den Wänden ausgelegt sind, saßen aber nur drei jüngere, europäisch gekleidete Afghanen. Der Malik sei auf seinen Feldern. Es sei schon jemand unterwegs, ihn zu holen. Die drei Herren kamen aus Peschawar. Sie arbeiteten für eine afghanische Organisation, und führten mit UN-Geldern ein Programm durch. Sie unterstützten Afghanen, die aus dem Ausland zurückgekehrt waren. Sie untersuchten die Wohnverhältnisse solcher Rückkehrer und konnten Mittel zur Verfügung stellen, um es diesen Menschen zu ermöglichen, Räume auszubauen oder anzubauen. Der Malik sollte ihnen eine Liste solcher Rückkehrer aufstellen. Mein Kollege wandte sich an den Gast, mit dem wir gekommen waren. Er war aus Baghram, vielleicht 40 km von hier entfernt. Vor zwei Jahren habe er einem Mann aus diesem Dorf hier zwei Kühe verkauft. Der habe die Tiere weiterverkauft, noch bevor er sie ihm bezahlt habe. Das Geld, das der andere eingenommen habe, habe der verspielt, so daß er nichts erhalten habe. Er habe sich an den Malik gewandt. Durch dessen Vermittlung habe man sich auf eine monatliche Ratenzahlung geeinigt. Aber die monatliche Rate war kaum höher als die Kosten seiner Reise nach hier und zurück. So käme er alle zwei Monate her, um zwei Raten in Empfang zu nehmen. Jetzt sei das wieder mal fällig, und er hoffe, daß er diesmal etwas bekomme. Mein Kollege sah mich an, und wir dachten an unsere Kredite. Ein Blick auf die Uhr tröstete etwas. Es war halb zwölf. Der Malik konnte unsere Anliegen nicht mehr am Vormittag erledigen. Er mußte uns zum Essen einladen. |
Situationsbericht aus Kabul:
Politische Stabilität und Wirtschaft in Afghanistans
bedingen einander
- von Peter
Schwittek -
Kabul, den 27.3.2003 - Unter den Taliban durften Fotografen in Kabul
nur Paßbilder anfertigen. Frisöre durften nur die Haare schneiden,
aber niemanden rasieren. Frauen durften nur im engsten Familienkreis ihre
Kleider zeigen. Die Kunst der Schneider war kaum gefragt.
Die Taliban sind weg. Kleine Dienstleister können wieder atmen. Auch werden überall Fernsehschüsseln hergestellt. In den Geschäften gibt es alles zu kaufen. Computer und anderes hochwertiges Büromaterial braucht man nicht mehr aus Pakistan zu importieren. Die Auswahl an Teppichen ist viel größer geworden. Immer neue Restaurants werden eröffnet. Man kann sich italienisch, thailändisch, deutsch, chinesisch, irisch oder indisch verköstigen lassen. Es wird viel gebaut. Fremde glauben, es gäbe keine afghanischen Installateure oder Elektriker. Es gibt sogar ganz gute. Man kommt nur nicht mehr an sie heran. Der Straßenverkehr in Kabul hat Ausmaße angenommen, die es hier noch nie gab. Geht es also voran mit der Wirtschaft? Wegen des beginnenden Irak-Krieges verfügten die UNO und andere große Hilfsorganisationen für zwei Tage die Schließung ihrer Büros. Alle Fahrzeuge mußten in den Garagen bleiben. Prompt floß der Verkehr und man brauchte von A nach B nur noch halb so lange wie ein paar Tage zuvor - und leider auch danach. Wird der Verkehr ganz wesentlich von den Prunkkarrossen der Ausländer produziert? Lebt vielleicht die ganze wirtschaftliche Erholung, über die wir uns gerade gefreut haben, nur von den fremden Helfern? Bautätigkeit ist eigentlich ein gutes Maß für die Konjunktur.
Mit dem Verschwinden der Taliban strömten internationale Hilfsorganisationen
in die zerstörte Stadt. Sie brauchten Büroräume und Unterkünfte.
Binnen eines Vierteljahres verzehnfachten sich die Mietpreise. Es lohnte
sich zu bauen oder zu sanieren, um Ausländern Angebote zu machen.
Das eingesetzte Geld amortisierte sich in wenigen Monaten. Afghanen, die
auf diese Art schnelles Geld gemacht hatten, mieteten selber besseren Wohnraum
an - und verdrängten ärmere Landsleute. Hunderttausende von Flüchtlingen
kehrten zurück. Für Afghanen stiegen die Mieten schmerzlich.
Mithalten können vor allem diejenigen, die eine Beschäftigung
bei einer internationalen Organisation gefunden hatten.
Die Ausländer und die Afghanen, die bei ihnen angestellt sind, kaufen reichlich Konsumgüter. Der afghanische Handel ist flexibel und deckt diesen Bedarf. So lebt auch der Handel indirekt von der importierten Kaufkraft einer Minderheit. Verschwänden die Ausländer, bräche der Handel weitgehend zusammen. Ein Teil der Nahrungsmittel und des Verbrauchsmaterials wird im Inland hergestellt. Die Landwirtschaft hat Krieg und Bürgerkrieg ganz gut überstanden - wenn man von den Schäden absieht, die die Taliban durch die brutale Entsiedlung einiger Landstriche angerichtet haben. Was Handwerksbetriebe ohne große Investitionen in Produktionsmittel herstellen können, stellen sie her. Unser Zehn- Kilowatt- Generator ist ein Spitzenprodukt derzeitiger afghanischer Handwerkskunst: Ein gebrauchter Motor eines japanischen Pkws, ein neuer chinesischer Dynamo und ein russisches Armaturenbrett werden auf einen Wagen mit Gummirädern montiert. Der robuste Generator liefert zuverlässig Strom, mit dem man problemlos Computer betreiben kann. Allerdings können nur drei Kabuler Betriebe solche Geräte bauen. |
Die engen Grenzen der Kabuler Wirtschaft wurden mir klar, als ich ein
gekochtes Ei vorgesetzt bekam und dessen auffallend guten Geschmack lobte.
Der Gastgeber strahlte und erläuterte, daß ich ein "heimisches
Ei" gegessen habe. Ich fragte, was ich denn zu Hause für Eier esse.
"Iranische, es könnten auch pakistanische sein." war die Antwort.
Es mag zwar einer EU-Richtlinie entsprechen, daß Hühnereier,
die in Deutschland produziert und verzehrt werden, mindestens einmal in
holländischen Lastzügen an die Küste des Mittelmeeres gefahren
werden müssen - aber Afghanen sind richlinien-resistent, und der Zustand
hiesiger Überlandstraßen sollte iranische Eier von Kabuler Frühstückstischen
fernhalten. Er schafft es nicht. Während man das ausländische
Hühnerei für dreieinhalb Afghani bekommt, kostet das einheimische
fünf. In Friedenszeiten belieferten Hühnerfarmen aus der Umgebung
die Stadt Kabul mit Eiern und Geflügelfleisch. Nichts dergleichen
ist wiedererstanden. Es fehlt an tierärztlichen Kapazitäten.
Die Gefahr, durch eine Krankheit alle Hühner einer solchen Anlage
zu verlieren, ist groß. Auch die regelmäßige Belieferung
mit Hühnerfutter ist ein Problem.
Vor allem fehlt es jedoch an der politischen Sicherheit. Wo man ohne große Investitionen produzieren kann, tut man es. Wo sich große Investitionen schnell amortisieren, werden sie riskiert - so im Baubereich. Doch wo sich aus Investitionen erst in einigen Jahren Gewinn erzielen läßt, wird kein Finger gerührt. Sicher gibt es in Afghanistan nur geringe Kapitalreserven. Aber eine beträchtliche Anzahl Afghanen könnte sich Geld bei Geschäftspartnern oder Verwandten im Ausland besorgen. Viele Afghanen, die im Ausland leben und sich dort als Unternehmer bewährt haben, würden sich gerne auch in der Heimat engagieren. Wirtschaftlicher und technischer Sachverstand wäre da, um Produktionen aufzubauen. Unter den gegebenen Bedingungen geschieht aber nichts. Niemand baut eine Fabrik, die fünf Jahre arbeiten muß, bis sie ihre Erstellungskosten erwirtschaftet hat. Wer weiß denn, ob nicht in achtzehn Monaten wieder Banditen freie Hand haben, die aus den Nachbarländern finanziert werden? Außerdem arbeitet die wiederentstehende afghanische Verwaltung zielstrebig an der Errichtung eines zentralisierten Staates, wie ihn sich Kommunisten erträumen. Privatwirtschaftliches Handeln droht von einer allmächtigen und korrupten Bürokratie abgewürgt zu werden. Bald nach dem Neubeginn war erkennbar, daß die Intervention des Westens nicht ausreicht, um Afghanistan die Entwicklung einer gefestigten Ordnung zu ermöglichen. Die militärischen Mittel, die die internationale Gemeinschaft aufbietet, reichen nur dazu, die Stadt Kabul zu sichern. Eine Entwaffnung der verschiedensten Banden und Kriegsfürsten riskierte man nicht. Die Macht in der Hauptstadt wurde denen überlassen, die man zu Siegern über die Taliban gemacht hatte - den Vertretern einer ethnischen Gruppierung, die keine fünf Prozent der Bevölkerung ausmacht. Denen finanzierte man zu allem Überfluß auch den Aufbau einer "nationalen Armee" - in Wirklichkeit einer Stammesmiliz. Diejenigen, die so zum Zuge kamen, haben keine Chance, von den anderen Landsleuten als nationale Regierung respektiert zu werden. Sie wissen es selber und nutzen die Gunst der Stunde, um mitzunehmen, was mitzunehmen ist. Das Land ist jetzt ihre Beute. Sie werden es ausweiden, bis sich ein stärkeres Raubtier zeigt. |
Auch die anderen Afghanen sind überzeugt, daß es so nicht
ewig bleiben wird. Irgendwann wird es zu Umwälzungen kommen, und die
bringen - nach allem, was man im letzten Vierteljahrhundert erleben mußte
- Zerstörungen. Also investiert man nicht. Und das macht es noch unwahrscheinlicher,
daß sich politische Stabilität entwickelt. Die Masse der Bevölkerung
bleibt arbeitslos und unzufrieden. Ehemalige Milizionäre haben keine
andere Perspektive, als sich wieder irgendeinem Warlord anzuschließen.
Für das militärische Engagement des Westens ist kein Ende abzusehen.
Es wird in seinem jetzigen Umfang gerade den wackligen Status quo aufrecht
erhalten können. Afghanistan wird so kein Land werden, das zur Stabilität
der Region beiträgt - im Gegenteil.
Das humanitäre Engagement des Westens bestand darin, daß man schnell viel Geld zusammenkratzte - einige Milliarden Euro, je nachdem wie man rechnet. Für die Staatengemeinschaft war das ein erträglicher Aufwand, für Afghanistan viel mehr als es verkraften kann. Nach Krieg, Bürgerkrieg und Talibanherrschaft gab es keine afghanische Verwaltung, die den Hilfssegen hätte sinnvoll nutzen können. So wurde das meiste Geld durch Hilfsorganisationen ausgebeben, die gehalten sind, solche Projekte durchzuführen, mit denen die heimatlichen Zentralen den Beifall von Geldgebern und Spendern erringen können. Mit den Bedürfnissen der Afghanen hat das wenig zu tun. Eine gewisse Koordination der Hilfsbemühungen versucht man nachträglich zu installieren. Ein Konzept, das Perspektiven für eine langfristige Entwicklung aufzeigte, gibt es nicht. Profit machen die fernen Zentralen der Hilfsorganisationen, namentlich die der Vereinten Nationen. Hunderte von Kabuler Büros der Helfer mußten mit Computern und angemessenen Fahrzeugen ausgestattet werden. Für die notleidenden japanischen Automobilkonzerne war das zwar nur ein Tropfen auf den heißen Stein; der Stadt Kabul gereicht es zum täglichen Verkehrsinfarkt. Mit dem schwindenden Interesse der Welt an Afghanistan gehen die Hilfsmittel zurück. Gewählte Regierungen können es sich nicht leisten, viel Geld in ein Land zu pumpen, das im Fernsehen keine angemessenen Katastrophen mehr vorweisen kann. Ein langes, gut überlegtes Engagement wäre nötig gewesen. Man kann es nicht durch einen auch noch so gewaltigen einmaligen Kraftakt an Hilfsbereitschaft ersetzen. Es ist als ginge über Felder, die eine regelmäßige Bewässerung brauchen, eine riesige Flutwelle hinweg. Das humanitäre Engagement der internationalen Gemeinschaft hat dank der Entsendung der Helfer eine wirtschaftliche Scheinblüte hervorgebracht. Zu einem dauerhaften Erstarken der Wirtschaftskraft Afghanistans hat es nicht beigetragen. |