Immanuel Kant starb vor 200 Jahren:
Wo liegen die Grenzen unseres Denkens?
Welche moralische Forderung ist zwingend?
- von Wolfgang Siebert -
Garbsen, den 12.2.2004 - Immanuel Kant,  der von 1724 bis 1804 in Königsberg lebte, hat diese beiden Fragen nicht nur beantwortet, sondern auch auf bestmögliche Weise begründet.
  • Wo liegen die Grenzen unseres Denkens? 
  • Welche moralische Forderung ist zwingend?
Zumindest einen Menschen mussten Raum und Zeit offensichtlich hervorbringen, der sein Leben dafür 'opferte', diese beiden Fragen einmal in aller Akribie und Gründlichkeit zu erörtern. 

Und wenn das Ergebnis, das Kant insbesondere auf seine Frage Was kann ich wissen? für ihn selbst auch unerwartet und ernüchternd war, so wissen wir durch dieses ‚Opfer‘ doch zumindest, dass es prinzipielle Grenzen unseres Denkens und der Erkundung unserer Wirklichkeit gibt. – Diese unumstößliche Tatsache, die sich nicht nur durch alle Naturwissenschaften, sondern auch durch die Politik und Geisteswissenschaften zieht, gerät leider allzu oft in Vergessenheit.

Allein zehn Jahre lang hat Immanuel Kant an seiner Kritik der reinen Vernunft gesessen, ehe die erste Ausgabe 1781 erschien. Die in einzelnen Aussagen veränderte, weiter entwickelte, aber auch ‚geglättete‘ 2. Auflage erschien 1787. 

Das Bedeutsame dieser kritischen Durchleuchtung des Erkenntnisvermögens  überhaupt ist die Einsicht, dass alles Denken unter Bedingungen steht und diese Bedingungen unsere Erkenntnisse von der Welt und damit die Wirklichkeit nicht nur mit-bestimmen, sondern unsere Realität in ihrer Art und Weise geradezu ausmachen. 
Raum, Zeit und Kausalität z.B. sind aus unserem alltäglichen Denken deshalb nicht wegzudenken, weil sie mit unserem Erkenntnisvermögen so eng verbunden sind, wie ein funktionierender Computer mit seinem Betriebssystem. 
Kant schreibt in einem Satz sinngemäß: Die Bedingungen unter denen unser Erkennen stattfindet, sind gleichzeitig die Bedingungen der Gegenstände unserer Erkenntnis. Folge: Die Welt, die Wirklichkeit, wie wir sie wahrnehmen könnte an sich auch ganz anders sein – wir wissen es nicht und werden es auch nie heraus bekommen, denn welches erkennende Wesen sich dieser Welt auch nähert, es wird nie vermeiden können, dass es sich dieser (vorausgesetzten) Realität auf eine bestimmte Art und Weise nähert. Und diese Art und Weise wird den Erkenntnisinhalten stets einen ganz eigentümlichen Inhalt aufdrücken.
 - Eine im politischen Alltag ganz selbstverständliche, aber von Politikern fast nie zugegebene Weisheit, die allerdings für alle Bereiche unseres Erkennens gilt – insbesondere für die Naturwissenschaften.
 

Der praktische, das heißt handlungsorientierte Bereich der kantischen Philosophie wird eröffnet durch die Frage: Was soll ich tun?
Gibt es eine Maxime, das heißt innere Handlungsanweisung, die man unabhängig von aktuellen Inhalten und Glaubensbezeugungen allen Menschen als sicheren Kompass  an die Hand geben könnte, um so das interpersonelle (aber auch internationale!) Handeln zu regeln?
Kant denkt bei der Lösung diese Problems nicht eigentlich an eine übergeordnete Instanz (Staat, Gott) oder an ein künstlich geschaffenes System, sondern gewissermaßen an 'dezentrale Selbststeuerung'. Eigentlich, so sagt er schon in seiner Grundlegung zur Metaphysik der Sitten hat jeder Mensch dieses kleine Gerät zur Orientierung seines Handelns schon unreflektiert in sich, nämlich den „guten Willen“, der eigentlich schon immer wisse, was zu tun sei.

Bei näherer Beleuchtung  zeigt sich nun, dass eine allgemeingültige Handlungsmaxime gar keinen konkreten Inhalt haben kann, denn wer sollte diesen festlegen? – Allgemein und von allen Interessen unabhängig könne eine solche Anweisung nur sein, wenn sie als formales Prinzip ein WIE des Handelns fordere. Und welches WIE ist gefordert? – Die Allgemeingültigkeit selbst, das heißt es ist ein Handeln gefordert, dass allgemeine Zusammenhänge im Blick hat und alle anderen mit einbezieht. Kants unbedingter („kategorischer“) Imperativ lauten denn also auch sinngemäß:
Handle stets so, dass die Maxime deines Willens stets das Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung sein könnte! 
Leichter fasslich, wenn auch nicht ganz unmissverständlich, ist diese abstrakte Forderung in der Formulierung der goldenen Regel: 
Was du nicht willst, das man dir tu‘, das füg‘ auch keinem anderen zu!

Die entscheidende Schwierigkeit besteht nun aber darin, dass Kant unter Willen nicht persönliches Gutdünken oder einfaches Wollen (im Sinne z.B. einer Wollust) versteht, sondern ein praktische, d.h., auf das Handeln ausgerichtetes Vermögen der Vernunft. Vernunft ist für Kant ein neutrales Vermögen der Erkenntnis  von Zusammenhängen. 
Die ‚reinen‘ Entscheidungen nach dem kategorischen Imperativ kommen deswegen nicht (oder kaum) vor, weil der Mensch nun einmal nicht nur durch einen vernünftigen Willen, sondern auch durch Neigung (Freud würde sagen von Trieben) gesteuert wird. 

Kant sieht dem Menschen optimistisch: Wesentlich durch Vernunft gesteuert, ist er in der Lage, sich aus seiner (sogar „selbstverschuldeten“) Unmündigkeit zu erheben und seine Geschicke – auch als gesamte Menschheit - selbst in die Hand zu nehmen.

Dieser Optimismus stößt heute auf vielerlei Kritik, die viele das Kind mit dem Bade ausschütten lässt: Viele verwechseln Kants Ideal des autonomen Menschen mit der Beschreibung einer Wirklichkeit. Für so weltfremd darf man den alten Königsberger aber nicht halten. – Man stelle sich lieber vor, in was für einer Welt wir lebten, ohne Kants Idee eines freien Willens, der in der Lage ist, Vernunft bestimmt zu handeln: Verantwortung, Schuld und Rechenschaft sind Begriffe, die in einer Welt ohne das kantische Ideal keinen Sinn hätten. Wer den Menschen als reines Triebwesen ohne jede eigene willentliche Steuerung versteht, leistet einer Entwicklung Vorschub, die keiner wollen kann.

Man verstehe den kategorischen Imperativ Kants als das was er ist: eine Aufforderung an uns alle uns unserer Vernunft zu bedienen.

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